In Deutschland wird schon länger die Frage diskutiert, ob der Islam zu Deutschland gehört? (s. auch: https://asien.blogger.de/ von 3/11 + 7/11). Der damalige Bundespräsident Christian Wulff beantwortete die Frage mit Ja, Gauck mit nein. Der amtierende Bundespräsident begründet sein nein damit, dass der Islam Europa nicht geprägt habe, weder die Aufklärung oder gar eine Reformation miterlebt hätte. Tatsache ist jedoch, dass die arabische und die europäische Kultur sich beeinflusst haben. Aber vielmehr ist wohl die Frage entscheidend, ob „Deutschland eine weltoffene Nation ist?“, denn der Islam gehört unstrittig zur Welt. In diesem Zusammenhang steht die Frage, ob die die christlich-abendländische Kultur eine Leitkultur in Europa ist?
Im Westen herrscht die Meinung vor, Toleranz, Demokratie, geistige Freiheit und Rechtssicherheit seien Errungenschaften des Abendlandes. Nicht nur Konservative meinen, Europa verdanke diese Errungenschaften hauptsächlich dem Christentum. Auch wenn das Christentum in der europäischen Gesellschaft tief verwurzelt ist, bedeutet das noch nicht, dass die europäische Gesellschaft ausschließlich christliche Wurzeln hat. Europa, und damit die abendländische Kultur, hat seinen Ursprung im antiken Athen. Von den alten Griechen stammt die Idee der Demokratie, die Alphabet-Schrift, sowie der rationale Dialog. In der Antike trennte sich die Philosophie von der Religion, entfaltete sich das freie, nicht an Autoritäten gebundene Denken und damit der Geist der Kritik. So der Historiker Rolf Bergmeier in seinem Buch „Christlich-abendländische Kultur. Eine Legende“. Obwohl das antike Rom Griechenland unterwarf und beide Sklavenhaltergesellschaften Kriege führten und despotisch regiert wurden, entwickelte sich Kultur und Zivilisation im Sinne des Abendlandes. Als Kaiser Theodosius I das Christentum zur Staatsreligion erhob, nahte das Ende der religiösen Toleranz. Die katholische Kirche entwickelte sich streng hierarchisch und die urchristliche Ethik verkam, genauso wie Philosophie und Wissenschaft der antiken Kultur. Schulen wurden geschlossen ebenso wie Bibliotheken und Akademien. Nur die gelehrten Mönche in den Klöstern fühlten sich der Bewahrung des antiken Erbes verpflichtet.
Zur gleichen Zeit blühte die islamische Kultur. Im Ergebnis waren die Wissenschaften, sowie Mathematik, Astronomie und Medizin dem Abendland weit voraus. Das von der katholischen Kirche für nutzlos befundene antike Wissen wurde in der muslimischen Welt bewahrt. Was die alten Griechen, aber auch die Perser und Inder an Erkenntnissen hinterlassen hatten, wurde von Muslimen hinterfragt und weiterentwickelt. Im 11. Jahrhundert verlor die islamische Kultur jedoch wieder an Dynamik. Auf dem Weg zum religiösen Heil galten weltliche Erkenntnisse fortan als eher hinderlich. In Europa indes führte die Auseinandersetzung mit dem jetzt aus dem islamischen Kulturraum importierten Wissen letztlich zu einer neuen Zeitenwende. Der Geist des Bürgertums erwachte. Wirtschaft und Handel gaben der Gesellschaft neuen Schwung. Der Frühkapitalismus förderte nicht nur den Warenaustausch, sondern auch den Austausch von Ideen. Gleichunwohl war die Freiheit des Denkens noch immer eingeschränkt. Nach wie vor wütete die Inquisition, wurden Hexen verbrannt und Bücher per Dekret verboten. Erst die historische Bewegung der Aufklärung gelang es die Macht und Deutungshoheit der Kirche erfolgreich zu erschüttern. Sie leitete die dritte Geburt Europas ein. Nach der Französische Revolution bildeten die Prinzipien der Aufklärung das moralische Gerüst Europas und nicht, wie immer noch behauptet wird, die religiös geprägten Zehn Gebote der Bibel. Im Artikel 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heißt es: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren …“. Mit diesen Worten begann eine neue Epoche, in der nicht die Hoffnung auf Erlösung, sondern der Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit die Welt nachhaltig verändert hat.
Heute ist der Islam verbunden mit Demokratie und mit einem friedlichen Zusammenleben mit Angehörigen anderer Religionen. Alle arabischen Staaten sind zwar islamisch geprägt, aber die meisten Muslime leben nicht in arabischen Staaten. Staaten mit einem großen Bevölkerungsanteil von Muslimen sind Pakistan, Indonesien, Indien, sowie Bangladesch und Nigeria. Und Islam ist nicht gleich Islam. Es gibt verschiedene Konfessionen und verschiedene Interpretationen des Koran. Lt. einer groß angelegten Meinungsumfrage unter arabischen Flüchtlingen sympathisiert eine absolute Mehrheit nicht mit dem Islamischen Staat (IS) und meint, dass deren Gewaltakte nicht mit dem Islam vereinbar sind.
Hier ergibt sich die dritte Frage: Ist der Islam mit Terrorismus gleichzusetzen? Der Pabst meint, man kann nicht pauschal urteilen, der Islam sei terroristisch. So wie es eine kleine gewalttätige Minderheit unter den Moslems gibt und gab, gibt es diese auch unter den Christen. Die IS-Ideologie ist eine islamistische Staatsreligion, die im Krieg der USA gegen den Irak entstanden ist. Seitdem erhebt der sog. Islamische Staat den Anspruch, politisches und religiöses Oberhaupt aller Muslime zu sein. Der allergrößte Teil der Muslime jedoch verurteilt den Terrorismus des IS.
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Terror hausgemacht
Der s.g. Islamische Staat (IS) hat sich zu den tödlichen Anschlägen in Paris bekannt. Frankreich hat kein Bündnisfall der Nato eingeklagt. Schon deshalb, um Beteiligte wie Iran oder Russland nicht auszugrenzen. Der Bündnisfall wäre auch deshalb nicht geeignet, weil der IS kein völkerrechtliches Subjekt ist. Trotzdem erklärte ihm Frankreich de facto den Krieg und pocht auf eine EU-Beistandsverpflichtung. Seitdem drehen sich politische Aktivitäten des Westens wieder ausschließlich um eine militärische Lösung. Allein mit Gewalt kann der Terror aber nicht gestoppt, der IS nicht besiegt und die Syrien-Krise nicht gelöst werden. Erforderlich sind auch gemeinsame politische Lösungen aller Beteiligten. Dazu gehört, dass die Golf Diktaturen, die Türkei usw. ihre finanzielle Unterstützung des IS einstellen und Waffenlieferungen auch aus dem Westen unterbleiben. Wer die Ursachen nicht erkennt, kann nicht erfolgreich gegen den Terror sein. Die Ursachen des Terrors reichen weit in die Vergangenheit und sind z.T. hausgemacht.
Mit dem Afghanistan-Krieg der SU in den 1980er Jahren wurde der Dschihadismus (eine millitante extremistische Strömung des Islam) zu einer globalen Bewegung. Die Sowjetunion wollte die begonnene säkulare, auf gesellschaftliche Umgestaltung und Modernisierung orientierte Saurrevolution, die zur Bodenreform, Alphabetisierung, Frauenemanzipation und Ausrufung der Demokratischen Republik Afghanistan führte, vor den islamischen Extremisten retten. Daraufhin haben die USA im Kalten Krieg eine Koalition mit Saudi-Arabien und Pakistan gegen die Sowjetunion geschmiedet und einen Osama Bin Laden gezüchtet. Damals wurde das Übel geboren, wie das Terror-Netzwerk Al-Qaida (meist sunnitisch, islamische Dschihad-Basis, in Irak die Vorläuferorganisation des IS), das heute auf Europa überschwappt. Dann kamen der Bürgerkrieg und die Taliban (islamische Miliz in Afghanistan). Die westliche Welt sieht Fortschritte in Afghanistan erst ab der NATO-Intervention und vergisst, dass es die vom Westen unterstützten Mudschaheddin waren, die in den 80´er Jahren gegen den Fortschritt als heilige Kämpfer des Dschihad in den Krieg gezogen sind. Zwischenzeitlich hat die USA mit ihren militärischen „Abenteuern“ nach Nine/Eleven weiter Öl ins Feuer gegossen und dem Terror den Krieg angesagt, ohne Rücksicht auf dessen Ursachen. Wer Terror mit Krieg bekämpft, erntet Terror, wie sich schon in Afghanistan gezeigt hat.
Die Zahl der Franzosen, die in Netzwerken des Dschihad aktiv sind, ist in den vergangenen Monaten explodiert. Warum? Der Masse der muslimischen Bevölkerung in den Pariser Vorstädten wurden Aufstiegschancen und wirkliche Integration in die französische Gesellschaft vorenthalten. Aus ihnen rekrutiert sich im Wesentlichen auch der starke Zulauf zum rechtsextremen, rassistischen Front National von Marine Le Pen. In den ausgegrenzten Gruppen formiert sich aus unterschiedlichen Perspektiven, aber aus denselben gesellschaftlichen Ursachen, ein massiver und gefährlicher Antisemitismus. Ein Rassismus nährt den anderen.
In den Terroranschlägen vom Freitag den 13. (Nov. 2015) in Paris hat sich die islamistische Radikalisierung junger Muslime entladen. Bei den sieben getöteten Attentätern handelt es sich um Franzosen, drei von ihnen kämpften in Syrien. Durch das militärische Engagement Frankreichs gegen den Islamischen Staat IS wurde der Prozess der Radikalisierung beschleunigt. Zugleich wuchsen das Misstrauen und die Ablehnung gegenüber dem Islam und den Muslimen unter der Mehrheit der Franzosen. Das wiederum wurde von den jugendlichen Muslimen besonders in den Vorstädten von Paris, wie Saint-Denis, als Missachtung empfunden und mit der Blasphemie z.B. von Charlie Hebdo noch befördert. Da sich diese Jugendlichen chancenlos und ausgegrenzt fühlen, keine Schul- oder Berufsausbildung erhalten und damit auch keine Arbeit, und vor allem keine Perspektive sehen, lassen sie sich von Islamisten indoktrinieren. Im schlimmsten Fall bieten ihnen Dschihdisten des sog. IS ihre Religion als radikalen Ausweg. Da ihnen Misstrauen und Missachtung der Gesellschaft entgegen tritt, fühlen sie sich als Opfer eines Systems und sehen sich legitimiert zu Gegenwehr, bis hin zu Attentaten. Über Drogendealer-Geschäfte z.B. finanzieren sie sich. Man sollte sie weder ignorieren noch überbewerten. Es handelt sich um keine Untergrundarmee, sondern eher um kleine Gruppen, die aber untereinander und mit dem Islamischen Staat vernetzt sind. Die Gruppen in Paris waren schwer bewaffnet und vor allem deshalb gefährlich, weil ein Selbstmordattentäter leicht hunderte Menschen töten kann. Saint-Denis hat die höchste Kriminalitätsrate Frankreichs. Der Staat mit seinen Institutionen hat sich weitgehend zurückgezogen. In der Konzentration von Sozialwohnungen in diesem Departement fehlt eine soziale Durchmischung der Bevölkerung. In Saint-Denis leben relativ arme Familien, vor allem Afrikaner und Araber. Weiße Franzosen sind dort die Minderheit. Aus Armut, Abwesenheit des Staates und Kriminalität entsteht ein explosives Gemisch.
Nach den wochenlangen gewalttätigen Unruhen von Jugendlichen in Frankreichs Vorstädten 2005, die auch aus schreiender sozialer Ungleichheit resultierten, hat die Regierung Milliarden in diese Viertel investiert, leider am Kern des Problems vorbei. Für die, die zwischenzeitlich in Syrien für den Islamischen Staat gekämpft haben und jetzt nach Frankreich zurückkommen, kommt jede Hilfe zu spät.
Aber rassistische Diskriminierung und soziale Ausgrenzung erklären das Phänomen nicht allein, sich einer terroristischen Organ anzuschließen. Hinzu kommt, dass desillusionierte junge Menschen nach einer Gehirnwäsche ihre Chance sehen, für ein angeblich höheres Ziel mit einem großen Knall und einer apokalyptische Botschaft abzutreten und dabei viele verhasste Mitmenschen mitzunehmen. Kein westlicher Arbeitgeber bietet Ihnen die bezahlte Möglichkeit, als heiliger Krieger morden, foltern und vergewaltigen zu dürfen.
Die jüngsten Terroranschläge waren wohl erst ein Anfang, da Frankreich wie auch Europa und der Westen insgesamt nicht in der Lage ist, die Ursachen zu erkennen oder gar zu beseitigen. Nach den Ursachen zu suchen heißt nicht nur auf die Terrororganisation IS zu zeigen, sondern auch zu fragen, wo diese ihren Ursprung hat, und warum sich so viele Europäer vom IS als Terroristen rekrutieren lassen. Die Terroristen in Paris waren meist französische Staatsbürger mit Migrationshintergrund. D.h. der Terror ist auch ein hausgemachtes, innenpolitisches Problem Frankreichs.
Der Anschlag galt nicht speziell Frankreich, sondern ist eine europäische Bedrohung. Daher ergibt sich die Notwendigkeit gemeinsam gegen den IS vorzugehen, am besten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Europa definiert sich im Kern über die Absage an barbarische Akte der Gewalt, der Intoleranz und des Terrors. Daher kann die Antwort nicht nur eine militärische sein.
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