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DDR ein Unrechtsstaat?

Die „ehemalige“ DDR ist heute für den Mainstream nur noch ein Unrechtsstaat. Ehemalig steht übrigens für jene, die fürchten, sie könnte evtl. wieder auferstehen, quasi aus blühenden Landschaften, wie einst aus Ruinen. Ehemalig im Zusammenhang mit DDR ist nicht nur schlechtes Deutsch, sondern auch eine Tautologie, also doppelt gemoppelt, so wie „tote Leiche“.
Für meine Generation war die Zeit in der DDR zuallererst ihr Leben und nicht zuletzt auch die erste Hälfte ihres Berufslebens. Die, die im Gründungsjahr der DDR geboren wurden, waren in der ersten Hälfte ihres Lebens immer so alt wie ihre Republik. In der zweiten Hälfte war es nicht mehr „ihre“ Republik, weil die neuen Eliten nicht mehr ihre Interessen vertreten, sondern nur noch ihre eigenen. Für die Meisten der im neuen Deutschland geborenen war es kein Unrechtsstaat, sondern ein Staat, in dem es auch Unrecht gab, soweit sie es erfahren haben. Welches Ausmaß das Unrecht schon angenommen hatte, wurde ihnen erst im Nachhinein bewusst. Ein Schlüsselerlebnis für sie war die Demo am 4.11.1989 auf dem Berliner Alex. Sie öffnete ihnen die Augen, dass viele der sog. „Staatsfeinde“ eigentlich keine waren. Ein Staat mit Defiziten an Demokratie war es für sie schon zu DDR-Zeiten. Deshalb sind sie aber nicht zum Widerstandskämpfer geworden, wie die meisten Wendehälse heute von sich behaupten, sondern haben die Defizite bemängelt und standen für deren Beseitigung. Doch ändern konnte keiner von ihnen etwas, damals so wenig wie heute. Trotzdem ist es wichtig, eine eigene Meinung zu haben und kein Mitläufer zu sein. Viele halten sich auch heute für unpolitisch, sind es aber nicht, weil sie wie die Meisten nur das wiederkäuen, was Ihnen täglich im gleichgeschalteten Fernsehen der heutigen Eliten vorgekäut wird. Vor 80 Jahren war die Masse der Unpolitischen sehr politisch, weil sie es den Faschisten ermöglichte, an die Macht zu kommen. Heute ermöglicht es die Masse der Unpolitischen (Nichtwähler), dass eine Minderheit über die Mehrheit herrscht.
Was viele Linke auch aus der DDR heute noch treibt ist der Trotz derer, die eine große Hoffnung nicht aufgeben. Die Reformer auf der einen und die kritisch Disziplinierten auf der anderen Seite innerhalb der SED, einte doch eine Zielrichtung: die Erneuerung der DDR, in der Sozialismus noch nicht verwirklicht war. Die Ereignisse haben sie überrollt, ohne dass sie eine Chance gehabt hätten, daran etwas zu ändern, die Gestaltenden wie die Überrollten. Die DDR wird es nicht wieder geben. Der übrig gebliebene Kapitalismus ist am Ende (z.B. Jeremy Rifkin in „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“). Was danach kommt, wird vielleicht nicht Sozialismus heißen, aber sein.
Die Meisten haben mit der Implosion des realen Sozialismus offensichtlich auch alle Visionen auf eine bessere Welt verloren. Sie sehen zum realen Kapitalismus keine Alternative und ignorieren, dass gesellschaftlicher Fortschritt nicht aufzuhalten ist, und der reale Kapitalismus nicht die letzte Antwort auf die zunehmenden, weltweiten Probleme in Natur und Gesellschaft sein kann. Sie setzen in unzulässiger Weise den realen Kapitalismus mit Marktwirtschaft und Demokratie gleich und verkennen, dass Freiheit ohne soziale Gerechtigkeit nicht wirklich Freiheit sein kann.
Etwa 30% der „ehemaligen“ DDR-Bürger waren Anhänger ihres Staates. Die Zahl der Angepassten (der klassische Mitläufer), betrug etwa 50 %. Sie fanden „nicht alles schlecht“ in der DDR. Das ergab eine Studie, die vom Bundesministerium für „innerdeutsche“ Beziehungen beauftragt wurde, und durch die Bundesregierung lange geheim gehalten wurde. Sicher deshalb, weil sie die tatsächlichen Verhältnisse offen legt. Demnach waren höchstens 20% keine Anhänger oder Mitläufer. Unter dieser Minderheit waren viele, die einfach nur „raus“ wollten. Diese Quote wird wohl heute in der BRD genauso hoch sein, mit dem Unterschied, dass sie legal „rüber“ können, wohin auch immer. Die Meisten derer, die einfach nur „raus“ aus der DDR wollten, warum auch immer, gingen legal über die Grenze. Nur relativ wenige riskierten ihr Leben und verließen ihre Familie, um illegal über die Grenze zu gehen. Trotzdem: Auch wenn es keinen Schießbefehl gab, jeder Tote war einer zu viel. Eine Minderheit der Minderheit waren tatsächlich Feinde des Staates der DDR. Sie bekamen es mit der Staatssicherheit zu tun. Das ist heute nicht anders, nur umgekehrt. Leider wurden in der DDR auch die wie Staatsfeinde behandelt, die eigentlich keine waren. Zu ihnen zählte z.B. Walter Janka. Er wurde in einem Prozess für seine politischen Überzeugungen (mehr Demokratie, kein Einparteiensystem, keine Diktatur des Proletariats, kein Stalinismus usw.) verurteilt. Da das Urteil in einem politischen Prozess schon vorher feststand, war es Unrecht. Die DDR-Führung war sich bewusst, dass die Masse nicht von einem neuen Deutschland überzeugt war. Sie wollte Reformbestrebungen nicht nachgeben wie in der Sowjetunion, wo diese dann auch gescheitert sind. Aber ohne die Sowjetunion hatte die DDR in dieser Systemkonstellation des Kalten Krieges auch keine Chance mehr auf Erneuerung. Der Westen war entschlossen, ihr diese auch nicht zu geben und hatte natürlich auch in diesem Prozess seine Finger im Spiel. Aus der Revolution von unten (Wir sind das Volk) wurde schnell eine Wiedervereinigung von oben (Wir sind ein Volk).
In der Geschichtsbetrachtung des Westens werden die tatsächlichen Verhältnisse in der DDR allerdings auf den Kopf gestellt. „Unrechtsstaat DDR“ ist ein Kampfbegriff, der politisch instrumentalisiert wird. Wer die Zeit nicht selbst erlebt hat, bekommt heute den Eindruck vermittelt, dass die Minderheit der Minderheit die Mehrheit gewesen sei. Tatsächlich kannte die überwiegende Mehrheit das Zivilgesetzbuch der DDR. Mit dem Strafgesetzbuch bekamen die Wenigsten zu tun. Nicht einmal der Staatsfeind Nr.1, Friedrich Schorlemmer. Er meint, die DDR war kein Rechtsstaat, sie aber generell zu einem Unrechtsstaat zu erklären, ist eine Absurdität. Sie war im Selbstverständnis derer, die sie begründet haben, ein Versuch, die Lehren aus der deutschen Geschichte zu ziehen. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sollte beendet werden und Faschismus nie wieder zugelassen werden.
Regisseur Andreas Dresen meint, der preisgekrönte Film „Das Leben der Anderen“ habe mit der DDR so viel zu tun wie Hollywood mit Hoyerswerda, weil er eine sehr einseitige Bewertung der DDR als „Stasi-Land“ zeichnet. „Vier Millionen Akten sind nicht vier Millionen Tote“. Aber wer wie z.B. Prof. Jean Mortier dies zu bedenken gab und damit auf tatsächliche Verhältnisse aufmerksam macht, wird verdächtigt, das Unrecht in der DDR zu rechtfertigen.
Man sollte nicht ein Unrecht mit dem anderen aufrechnen, aber heute gibt es Rechtsstaaten, in denen mit Todesstrafe geurteilt und gefoltert wird, in anderen lässt man Flüchtlinge schon vor der Grenze ertrinken oder sie werden gedemütigt. In wieder anderen Ländern werden Sinti und Roma, Behinderte und Außenseiter behandelt wie Vieh. „Unrechtsstaat“ und „Rechtsstaat“ sind das nur zwei Ansichten ein und derselben Sache. Unrechtsstaat DDR soll uns einreden, die Bundesrepublik sei ein Rechtsstaat. Es hat noch keinen gegeben, der diesem Anspruch gerecht geworden wäre. Erst wenn Historiker gleichermaßen über Recht und Unrecht in der BRD und der DDR urteilen, werden die tatsächlichen Verhältnisse wieder hergestellt sein. Dazu muss auch das Unrecht der BRD benannt werden, wie z.B. Berufsverbote für Kommunisten und „Staatsnahe der ehemaligen DDR“, Rentenunrecht gegenüber Staatsnahe. Oder ist es Recht, wenn ein Richter mit 15.000,-€ Monatsgehalt in einem Bundesverfassungsgericht urteilt (so am 23. 7.2014), dass Hartz-IV-Leistungen mit monatlich 391,-€ „die Anforderungen des Grundgesetzes erfüllen und für eine menschenwürdige Existenz“ sorgen? Das ist soziales Unrecht in einem der reichsten Länder der Welt, in dem Richter doch nur die Aufgabe haben, das Eigentum der reichen Elite zu schützen (Grundgesetz Art.14).

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Desaster oder Neuordnung?

Schaut man auf die Wahl-Karte, wird einem schwarz vor Augen. Aber der Schein trügt. Es ist Bewegung im politischen System der Bundesrepublik. Aber Fortschritt (Veränderung im positiven Sinne, verbunden mit Innovation) dauert, viele Wahlperioden. Viel zu viele, könnte man meinen.
Wahl2013Auch wenn es nach dieser Wahl noch nicht zu einem Politikwechsel kommt, ist er unvermeidlich. Vor 30 Jahren zog mit den Grünen eine Partei in den Bundestag, die aus der Friedensbewegung hervorging. Dann  zieht nach der Wiedervereinigung eine Partei ins Parlament, für die der demokratische Sozialismus Programm ist. Neben dem Ampelmännchen nicht das Einzige, was von einer Ehemaligen und Todgesagten verbleibt. Heute ist sie drittstärkste Kraft (im Osten die 2.). Eine dritte Partei, die zum Grundinventar der alten Bundesrepublik gehört, verschwindet von der Bildfläche.

BRD Parteien ab49 Der Rest schart sich um „Mama“. 1967 bis 83 waren für eine absolute Mehrheit fast 45% aller Wählerstimmen erforderlich. Jetzt sind es gerade mal 29,2% von 61,8 Millionen Wahlberechtigten, die für die einfache Mehrheit CDU gestimmt haben. Eine schwarze, sprich konservative, einfache Mehrheit kommt heute nur noch zusammen, wenn sich alle um „Mama“ scharen und Ballast, wie die FDP über Bord werfen. 2,1 Mio FDP-Wähler haben sich in das Boot der CDU gerettet. Trotzdem, oder deshalb haben es die Konservativen schwer, einen Partner für die Mehrheit, sprich für die Zukunft zu finden. Sie muss sie sich aus dem Lager links von der CDU holen. Lässt sich die halbrote SPD zu einer Koalition überreden, muss sie ihre Wahlversprechen brechen, genauso wie die CDU. So wird die „Urne“ zum Abfallbehälter für verblichene Wahlversprechen. Die Quittung bekommen sie bei der nächsten Wahl und verlieren weitere Millionen Stimmen. Lassen sich die Grünen überreden, spielen sie nach der nächsten Wahl auch keine Rolle mehr. 1998 war Rot-Grün mit 42,8% aller Wahlberechtigten vertreten. Sie hatten nach 16 Jahren Kohl für einen „Politikwechsel“ gestimmt. Rot-Grün blieb aber bei ihrer Abgrenzung nach links, stimmte für Kriegseinsätze und war mit der Agenda 2010 für soziale Verwerfungen verantwortlich. Von da an ging es bergab mit Rot- Grün (grau), aber auch mit dem schwarz/gelben Lager (schwarz).
LagerWahl37,1% aller Wahlberechtigten (farblos in der Grafik oben) lassen sich heute gar nicht mehr im Parlament vertreten. Davon werden 8,6%, die „Sonstige“ Parteien wählen, durch die 5%-Klausel aus dem Parlament ausgeschlossen. Von diesen Parteien hat aber auch keine das Programm, um langfristig mitzuregieren. Hier sind viele der Wechsel- und Protestwähler zu finden.

Nichtwähler mit 28,5% der Stimmen aller Wahlberechtigten interessieren sich durchaus für Politik und halten die Demokratie mehrheitlich (85%) für eine gute Idee. Aber sie erliegen der Politikverdrossenheit, die das schwarz/gelb/rot/grüne Lager mit seiner zur Beliebigkeit verkommenen Politik und dem ständigen Brechen seiner Wahlversprechungen zu verantworten hat. Etwa 16% von ihnen haben zuletzt SPD, 13% CDU und etwa 6% andere Parteien gewählt. 38% von ihnen sind Dauer-Nichtwähler oder Wahlverweigerer. Die Nichtwähler sind überdurchschnittlich zwischen 45 und 59 Jahre alt und eher Ostdeutsch oder/und weiblich, haben ein niedrigeres Einkommen und eine geringere Bildung. Beamte wählen öfter als Arbeiter. Der Nichtwähler schaut mehr private Fernsehsender, interessiert sich mehr für Prominente und weniger über Geschichte oder Außenpolitik, wie Umfragen zeigen. Die Nichtwähler könnten die nächste Wahl entscheiden und für einen Richtungswechsel in der Politik sorgen, wenn sie denn wählen würden. Sie überlegen noch und brauchen Nachhilfe, oder Aufklärung.
Die theoretischen Grafiken über Wählerwanderungen stimmen schon deshalb nicht, weil sie nur die Bewegung zwischen den Parteien und nicht die der Nichtwähler berücksichtigen. Ehemalige CDU-Wähler, die nicht mehr gewählt haben, weil sie vom „Linkdrall“ Merkels frustriert waren, sehen wohl eher in Parteien eine Alternative, die rechts von der CDU stehen. Das ändert aber nichts an der Tendenz, dass die CDU allein keine Mehrheit mehr bekommt und diese auch kaum noch in einer Koalition findet. Ausnahmen, wie eine „große Koalition“, bestätigen diese Tendenz. Da ohne Koalitionen aber keine Mehrheiten mehr zustande kommen, und die Unterschiede der Parteien in einer Koalition kaum noch sichtbar sind (zumindest aus der Sicht der Nichtwähler), nimmt die Politikverdrossenheit zu. Das betrifft alle Parteien, auch die Linke, die den Wunsch der Wähler mitzuregieren nur erfüllen kann, wenn sie sich auf Kompromisse, sprich Koalitionen einlässt. Daran wird sich nichts ändern, solange die Wähler, insbesondere die Nichtwähler, keine Alternativen sehen und kein klares Votum abgeben. Ein Teufelskreis.
Bei der Bundestagswahl 2013 waren von den rund 61,9 Millionen Wahlberechtigten etwa die Hälfte zwischen 30 und 59 Jahre alt. Ein Drittel war über 60 und lediglich ein Sechstel jünger als 30. Mit steigendem Alter nahm die Wahlbeteiligung zu. Am höchsten war sie mit 79,8 % bei den 60- bis 69-Jährigen. Bei den 21- bis 24-Jährigen war die Wahlbeteiligung mit 60,3 % am geringsten. D.h., den Ausgang kommender Wahlen könnte bei steigender Wahlbeteiligung die zahlenmäßig stärkste Altersgruppe zwischen 30 und 59 maßgeblich beeinflussen. Die Alten, und vor allem die ganz Alten, wählen mehrheitlich konservativ, also CDU. Die LINKE ist mit 36,5 % am Meisten von der Altersgruppe der 45- bis 60-Jährige gewählt worden. Bei kommenden Wahlen ist es daher wahrscheinlich, dass sich insbesondere bei einer höheren Wahlbeteiligung eher eine Verschiebung nach links ergibt.
Ein Zurück zu alten Zeiten wird es nicht geben. Neue Werte dieses Abendlandes, wie mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit, mehr Frieden, mehr Abrüstung, weniger Rüstungsexporte, bessere Umwelt, Datenschutz, ein besseres Europa usw. werden künftig wahlentscheidend sein, wenn es denn um Inhalte geht.
Die Parteibasis der SPD lehnt eine große Koalition ab, so war zu hören. Die offizielle meinungsbildende Minderheit behauptet, dass die Mehrheit der Wähler jetzt eine „große Koalition wünscht“, obwohl die eigentliche Mehrheit mit 319 von 630 Sitzen im Bundestag halbrot/rot/grün gewählt hat. Das wäre die Koalition, die die größte programmatische, also inhaltliche Übereinstimmung hat, in Fragen wie Bildung, Soziales und Ökologie. Weil die Linke z.B. Kriegseinsätze ablehnt, lassen Grüne und SPD eine Zusammenarbeit bisher platzen. Angeblich sei das „politisch“, bzw. lt. „Umfragen“ nicht gewollt!  So mutieren demokratische Mehrheiten zu oppositionellen Zwergen. Stimmen wurden abgegeben – an der Garderobe der Demokratie.

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