Beiträge mit dem Schlagwort: DDR

Kommt der Rechtsextremismus aus der DDR?

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung Iris Gleicke (SPD) hat das Institut für Demokratieforschung in Göttingen beauftragt zu analysieren, warum gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sich so stark ausdehnen konnte. Nach der Vereinigung wurden insbesondere im Osten Deutschlands fremdenfeindliche und rechtsextremistische Aktionen und das Erstarken von Pegida sowie rechtsradikale Initiativen und Organisationen wahrgenommenen. Wegen der Studie gibt es jetzt Zoff, nicht nur weil sie handwerkliche Fehler enthält, sondern vorallem weil sie wohl politisch ungewollte Aussagen enthält. Sie wirft besonders der CDU-geführten sächsischen Landesregierung Versäumnisse im Kampf gegen rechte Gesinnung vor. Zu Recht, meint der Historiker Ulrich van der Heyden im nd. Aber im Wahlkampf? Das geht ja gar nicht.
Die Studie enthält Fehler und Ungenauigkeiten. Z.B., dass es in der DDR 8600 rassistische oder antisemitische Vorfälle gegeben habe. Die hohe Zahl ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass die Stasi in der DDR akribisch jeden rechtsextremen Fall registriert hat, wogegen zuständige Stellen, wie Geheimdienste, in der BRD gerade auf dem rechtem Auge blind sind. Grundsätzlich falsch ist z.B. die Aussage, dass die DDR-Führung eine „Verschleierung des Faschismus“ erzwungen habe. Lt. Studie waren rechtsextremistische Parolen in der DDR anfangs weniger eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus, als vielmehr eine „Identifikation mit dem Feind des Feindes“. Deshalb machte das Strafgesetzbuch der DDR Unterschiede zwischen dem Straftatbestand des Rowdytums, der Faschistischen Propaganda und der Völker- und Rassenhetze. Die DDR verstand Nation als eine Entscheidung für ein progressives Projekt, nicht als heilige Geschichts- oder Abstammungstatsache. Die Reduktion von Nation auf Nationalität, wie heute in der AfD üblich, galt in der DDR als reaktionär.
DDR-Bürger konnten zwar nicht in die Welt reisen, aber ihnen wurde die Welt ins Haus gebracht: Durch internationale Sportveranstaltungen, wissenschaftliche Konferenzen, Jugendtreffen und Weltfestspiele. Dass Vertragsarbeiter in der DDR »isoliert« hätten leben müssen, ist ebenfalls ungenau. Immerhin hatten allein junge mosambikanische Männer tausende Kinder mit DDR-Frauen. Während in der Göttinger Studie die krampfhafte Suche nach möglichen Wurzeln für heutige Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in der DDR-Vergangenheit durchblickt, zeigt dagegen die Studie der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung, dass die Formel DDR = AfD auch empirisch nicht aufgeht. Wenn diese im Osten stärker ist, liegt das nicht an einem DDR-Kulturerbe, sondern an Erfahrungen in der erweiterten Bundesrepublik nach der Wende.
Die größte Schwachstelle der Studie aus Göttingen ist daher, dass sie nicht untersucht was in den inzwischen 27 Jahren nach der deutschen Vereinigung schiefgelaufen ist. Da blieben z.B. die vom „Kanzler der Einheit“ versprochenen „blühenden Landschaften“ aus. Und viele Ostdeutsche beklagen, dass ihnen nach 1990 nicht nur die Arbeit, sondern auch ihre Würde genommen wurde. Der Sozialphilosoph Oskar Negt meint, man könne nicht die Biografien eines ganzen Volkes mit einem Schlag für null und nichtig erklären. Wer andauernd in einem demütigenden Entwertungszustand gehalten werde, der beginne mit der Wiederherstellung seiner Würde auf einer rebellierenden Ebene. Daniela Dahn erinnerte in einem Buch an den enormen Aderlass an jungen, kreativen, gebildeten und lebenslustigen Menschen, die im gewendeten Osten keine Zukunft sahen. Zurück blieben weniger Bewegliche und ein im Vergleich zu Westdeutschland überdurchschnittlich hoher Anteil an Rentnern, Die von Negt vorhergesagte Rebellion habe sich schließlich in Fremdenfeindlichkeit und Zusammenschlüssen wie Pegida und AfD entladen, in einem „neuen Nationalismus der Deklassierten“, vor den namhafte Wirtschaftswissenschaftler aus beiden deutschen Staaten in ihrem „Warnruf der ökonomischen Vernunft“ bereits 1990 gewarnt hatten. Der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) meint dazu: „Die wildgewordenen Spießer, die heute mit Pegida auf die Straße und gegen Asylbewerber zu Felde ziehen, sind nicht so, weil sie in der DDR lebten, sondern weil sie eine scheiß Angst davor haben, dass ihnen ihr bisschen Wohlstand genommen wird. Das ist nicht die Furcht vor dem Fremden, sondern vor ihrer eigenen Zukunft, die ungewiss ist. Diese Furcht hat nun wahrlich nichts mit der DDR-Vergangenheit zu tun“.

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Wächst zusammen, was zusammen gehört?

Aus offiziellen Kanälen ist nur von Erfolgen der Wiedervereinigung zu hören. Diese gibt es auf den Gebieten des Konsumgüterangebots und der Reisefreiheit. Hier haben sich die Erwartungen für die Meisten erfüllt. Infrastruktur und Gebäudebestand wurde modernisiert und die Stadtzentren erneuert. Umweltbelastende Industrie wich einer blühenden Landschaft. Als Kohl von blühenden Landschaften sprach, meinte doch wohl nur: Ihr werdet schon sehen was euch blüht.
Darüber hinaus sind jedoch zentrale wirtschaftliche Ziele, die 1990 für Ostdeutschland formuliert wurden, nicht erreicht worden. Laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle hinkt die ostdeutsche Wirtschaft der westdeutschen weiter deutlich hinterher. Von einem selbsttragenden Aufschwung ist der Osten heute weiter entfernt als 1990. Ein ehemals entwickeltes Industrieland wurde in ein vorindustrielles Stadium zurückgeworfen. Statt Aufbau oder Umbau dominiert in Ostdeutschland der Rückbau. Die Lohnangleichung stagniert, die Massenkaufkraft ist rückläufig. Statt Selbstbestimmung herrscht wirtschaftliche Fremdbestimmung. Die Abwanderung hält an und die Lebensqualität sinkt. Die Verschuldung kommunaler Haushalte im Osten steigt und ist um ein Vielfaches höher, als zu Zeiten der DDR. Statt Nahrungsmittel-Selbstversorgung gibt es Einfuhrzwang. Die West-Ost-Unterschiede sind größer als in jedem anderen Land Europas. Im Vergleich zu anderen ost- und südosteuropäischen Staaten ist der technologische Vorsprung, den die DDR hatte, stark gesunken. Und das obwohl mit 1,5 Billionen € nach der Wende mehr Geld in den Osten Deutschlands geflossen ist, als in alle diese Staaten zusammen. War das so gewollt oder hat es der liebe Gott, sprich der Markt, gerichtet? Wie auch immer, der Westen partizipiert letztendlich vom wirtschaftlichen Niedergang im Osten.
Zeitgenossen beurteilen ihre Epoche anders als die Nachwelt. Historiker der Nachwelt werden zu ganz anderen offiziellen Bewertungen kommen, als bestellte „Historiker“ der Gegenwart. Matthias Krauß, Publizist und Journalist, versucht frei nach Wilhelm Busch „auf das Ende zu sehen“. Aus seiner Sicht ist der Spruch „Nun wächst zusammen, was zusammen gehört“, kläglich gescheitert.
Die vielen Bürger, die nach der Gründung DDR aus Angst vor dem „realen Sozialismus“ geflüchtet sind, haben ihr Hab und Gut nach der Wiedervereinigung zurückerhalten. Lt. Einigungsvertrag wurde es ihnen nach dem Prinzip „Rückerstattung vor Entschädigung“ zugesprochen. Die Bürger, die dieses Hab und Gut in 40 Jahren DDR erhalten und modernisiert haben, gingen leer aus. Auf dieser Basis konnte nichts zusammenwachsen. Friedliche Koexistenz fand nur im Fernsehen statt („Stilles Tal“, TV-Drama 2011), nach dem Motto: Friede, Freude, Eierkuchen. Das Hab und Gut des Staates wurde für ein Appel und ein Ei über die Treuhand an den Mann, sprich an den Wessi gebracht, um es auszuschlachten.

    ArmutsberichtArbeitslosigkeitStellt man z.B. die Anzahl der Kinder in Tageseinrichtungen oder die Arbeitslosigkeit in einer Grafik dar, bildet sich deutlich die ehemalige  Grenze zwischen BRD und DDR ab. Nicht Begriffe wie Ossi oder Wessi spalten heute, sondern die anhaltenden Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen arm und reich, und zwischen oben und unten.
Bis heute wurden in der deindustrialisierten Zone Ostdeutschlands die Unterschiede zwischen West und Ost weiter fortgeschrieben. Für den Osten gilt: 20% geringerer Lohn, höhere Armut, mehr Hartz IV-Empfänger, geringere Rente und Rentenunrecht, viel kleineres Vermögen, geringere Wirtschaftskraft, höhere Arbeitslosigkeit, mehr Krippenplätze, bessere Bildungserfahrungen, höhere Wahlerfolge der Linken, mehr Orientierungslosigkeit besonders unter Jugendlichen der Wendezeit, sowie anscheinend mehr rechte Rattenfänger, höhere Geburtenrate, geringere Lebensqualität, höhere Abwanderung, weniger Web-Präsenz, schönere Ampelmännchen, mehr FKK-Plätze, usw. usw. (Liste komplett unvollständig). Die Zahl der Beschäftigten ist in 20 Jahren seit 1992 im Osten um 1,2 Millionen zurückgegangen und im Westen um 1,1 Millionen gestiegen!
Lt. Sozialreport 2014 des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums ist eine große Mehrheit der Ostdeutschen auch 25 Jahre nach der Wende skeptisch, was den Stand der Einheit betrifft. Bei der Mehrheit der Westdeutschen hat sich nicht viel geändert. Der Graben zwischen denen, die wirtschaftlich Erfolg haben, und denen, die abgehängt wurden, wird größer. Während die Zufriedenheit mit der persönlichen wirtschaftlichen Situation groß ist und sich vor allem für Ostdeutsche verbessert hat, ist die große Mehrheit der Bundesbürger unzufrieden mit der politischen Kultur und Demokratie im Land.

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